Über das Konzept der Ausstellung

Meine Begegnung mit dem sog. Herero-Stein geschah in den ersten Wochen meiner Dienstzeit als Leiter des Museums Neukölln am 25. Januar 2022. Grund des Besuches auf dem Friedhof am Columbiadamm war die Vorbereitung einer fachlichen Stellungnahme für eine Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung. Seit dieser Zeit ist der Stein für mich ein „Stein des Anstoßes“ – anstößig aufgrund seiner Verschwiegenheit gegenüber der historischen Wahrheit; und zugleich anstoßend, weil sich aus der Konfrontation mit dem Stein die Motivation ableitet, einen produktiven Beitrag dazu zu leisten, der historischen Ehrlichkeit mit Hilfe der Museumsarbeit eine wahrnehmbare Geltung zu verschaffen. Letztlich gab diese erste Begegnung mit dem Stein den Impuls für das Ausstellungsprojekt.

Dr. Matthias Henkel
 

Herero-Stein und Platte, Foto © Matthias Henkel vom 22. Januar 2022Foto © Matthias Henkel vom 22. Januar 2022

 

Mit dem Ausstellungs- und Akademieprogramm „BURIED MEMORIES – Vom Umgang mit dem Erinnern. Der Genozid an den Ovaherero und Nama“ greift der Fachbereich Museum, Stadtgeschichte, Erinnerungskultur im Bezirksamt Neukölln in Kooperation mit der Volkshochschule Neukölln das wichtige erinnerungspolitische Thema des Umgangs mit der Kolonialzeit auf.

Auf einen Antrag der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln reagiert der Fachbereich mit dem Vokabular des Museums: mit dem Zeigen, dem Sichtbarmachen, dem Analysieren und schließlich mit der Ermöglichung eines moderierten Dialoges der Stadtgesellschaft.

Die Ausstellung dient als Impulsgeber für eine vielschichtige Reflexion. Ziel dieses Dialoges ist es, einen zeitgemäßen Umgang mit dem kolonialen Erbe gemeinsam zu entwickeln. Die im Rahmen von "MUSEUM IM DIALOG" veranstalteten Führungen, Workshops, Performances und Seminare werden als Digitale Exponate auf der Website der Ausstellung dokumentieren.

Der Erfahrungsbericht nach der Ausstellung wird damit zugleich zur Handlungsempfehlung für den künftigen operativen Umgang mit dem Gedenk-Ensemble auf dem Friedhof am Columbiadamm. Den historischen Ankerpunkt der Ausstellung bildet der sog. Herero-Stein.

Die Szenografie der Ausstellung

Die szenografische Gesamtkonzeption der Ausstellung speist sich aus mehreren Quellen: Um den Raum mit der dekolonisierten Perspektive der wirklich raumgreifenden Installation der namibischen Künstlerin Isabel Tueumuna Katjavivi betreten zu können, muss jede Besucherin und jeder Besucher zunächst den Vorhang der widerstreitenden Narrative durchschreiten.

Die Szenografie im Ausstellungsraum selbst ist bewusst so flexibel – und damit partizipativ – gestaltet, um auch den im Verlauf der Ausstellung geführten Debatten sukzessive Raum geben zu können. Last but not least werden die Meinungen, Erkenntnisse, Erlebnisse und Erfahrungen, die sich im Verlauf der Ausstellung entwickeln, in Blog-Beiträgen – als Digitale Exponate – auf der Website der Ausstellung fortlaufend dokumentiert.

„Buried Memories“

… der Haupttitel der Ausstellung – BURIED MEMORIES – ist als Hommage an die den Raum füllende Installation „They tried to bury us“ von Isabel Tueumuna Katjavivi zu verstehen: Die im Sand zum Teil verborgenen Masken repräsentieren einerseits die vielen Zehntausenden von Menschen, die durch grausamste Gewalt der deutschen sog. „Schutztruppe“ zum Verdursten in die Omaheke-Wüste getrieben, in Konzentrationslagern zu Tode gequält oder ermordet wurden. Die zunächst still wirkende Rauminstallation entwickelt erst bei näherer Betrachtung ihre kapitale Wirkung: Sie gibt den 70.000 Menschen, die dem ersten Genozid des 20sten Jahrhunderts zum Opfer fielen, im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht. Andererseits können die verschütteten Masken metaphorisch auch als Repräsentanten des erinnerungskulturellen Umgangs der vergangenen 120 Jahre gelesen werden, als Zeichen des Verdrängens, des Nichtwissenwollens im gesellschaftlichen Erinnerungsdiskurs Deutschlands.

„Vom Umgang mit dem Erinnern“

Dieser Untertitel weist auf die übergeordnete Intention der Ausstellung hin, nämlich den derzeit ins Stocken geratenen binationalen Dialog zwischen Deutschland und Namibia. Mit der kulturell-künstlerischen Intervention dieser Ausstellung soll ein produktiver Impuls für einen mitfühlenden Dialog innerhalb der Stadtgesellschaft gesendet werden.

Katjavivis Rauminstallation ist deshalb gerahmt durch eine verschriftlichte Dokumentation von bedeutenden Ereignissen, zeitgenössischen Quellen und Zitaten, die unseren Besucherinnen und Besuchern die Basis dafür liefert, sich eine eigene, persönliche Meinung zu bilden.

„Der Genozid an den Ovaherero und Nama“

… über einhundert Jahre währte der Prozess der Anerkennung, bis die Gräueltaten, die unter Leitung Lothar von Trothas begangen wurden, auch von deutscher Seite als Völkermord bezeichnet werden: Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes vom 28. Mai 2021[1]: „Unser Ziel war und ist, einen gemeinsamen Weg zu echter Versöhnung im Angedenken der Opfer zu finden. Dazu gehört, dass wir die Ereignisse der deutschen Kolonialzeit im heutigen Namibia und insbesondere die Gräueltaten in der Zeit von 1904 bis 1908 ohne Schonung und Beschönigung benennen. Wir werden diese Ereignisse jetzt auch offiziell als das bezeichnen, was sie aus heutiger Perspektive waren: ein Völkermord.“