Arthur Rackwitz: Ein Pfarrer mit Zivilcourage

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Ein erinnerungskultureller Beitrag

Erinnerungskultur beschreibt, wie eine Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit umgeht, diese bewahrt und reflektiert. Sie umfasst den bewussten Umgang mit historischen Ereignissen, Persönlichkeiten oder Entwicklungen, die prägend für die kollektive Identität sind. Ein zentrales Ziel der Erinnerungskultur ist es, aus der Vergangenheit zu lernen, um gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen besser bewältigen zu können. Dies geschieht durch Denkmäler, Gedenkveranstaltungen, Museen oder Bildungsprogramme, die das historische Bewusstsein stärken.

Doch was wird erinnert? Und wer entscheidet das? Häufig sind es politische Akteur:innen und kulturelle Einrichtungen wie Museen. Das Museum Neukölln sammelt und bewahrt die Erinnerungen vieler Menschen und präsentiert sie in Ausstellungen und Programmen. So entstand auch dieser Beitrag: Eine Neuköllner Bürgerin möchte Pfarrer Arthur Rackwitz ehren. Sie wurde von ihm getauft und ihre Mutter hatte ihr über ihn erzählt. Rackwitz war Pfarrer der Philipp-Melanchthon-Kirche in Neukölln und zeigte in schwierigen Zeiten großen Mut. Um Rackwitz’ Vermächtnis weiter zu würdigen, plant die Neuköllner Bürgerin, gemeinsam mit der Koordinierungsstelle Historische Stadtmarkierungen im Aktiven Museum, eine Gedenktafel an der Kirche anzubringen.[1] 

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Philipp-Melanchthon Kirche, ©Wikimedia, Bodo Kubrak, 2011.

Arthur Rackwitz: Pfarrer und Pazifist

Arthur Rackwitz wurde 1895 in Landsberg an der Warthe geboren. Im Jahr 1929 trat er die Pfarrstelle an der Philipp-Melanchthon-Kirche in Neukölln an. Schon vor der nationalsozialistischen Machtergreifung engagierte er sich politisch und war Mitglied der SPD. Er leitete den Evangelischen Erwerbslosendienst in Neukölln, eine Initiative, bei der arbeitslose Gemeindemitglieder Produkte herstellten, die in der Gemeinde verkauft wurden.[2]

Rackwitz war überzeugter Pazifist und Mitglied im Bund Religiöser Sozialisten Deutschlands (BRSD). Diese Organisation wurde 1919 gegründet und hatte besonders in Arbeiterbezirken wie Neukölln großen Einfluss. Seine Mitgliedschaft im BRSD und seine pazifistische Haltung brachten Rackwitz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten erhebliche Schwierigkeiten ein. NS-Sympathisanten denunzierten ihn immer wieder, sodass er in seinen Predigten vorsichtig sein musste, um im Amt bleiben zu können.[3]

Widerstand und Verfolgung

Trotz der Bedrohung blieb Rackwitz seiner inneren Überzeugung treu und stellte sich der nationalsozialistischen Ideologie entgegen. Er weigerte sich beispielsweise, in seinen Gottesdiensten eine Fürbitte für Hitler zu halten und widmete diese stattdessen der gesamten Regierung. Im Jahr 1936 trat er dem Pfarrernotbund bei, einer Organisation, die sich seit 1933 gegen die Einführung des „Arierparagraphen“ in der Kirche wandte. Der Paragraf war Teil der nationalsozialistischen Rassenpolitik und führte zur Ausgrenzung als jüdisch-stämmig gesehener Geistlicher. Rackwitz lehnte diese Politik entschieden ab. Im selben Jahr schloss er sich der Bekennenden Kirche an, die aus dem Pfarrernotbund hervorgegangen war und sich gegen die Gleichschaltung der Kirche durch das NS-Regime stellte.

Arthur Rackwitz war in seiner Gemeinde außerordentlich beliebt. Seine Gottesdienste waren besser besucht als die seines NS-treuen Kollegen, und auch bei den Konfirmand:innen war er deutlich beliebter als sein Kollege. Im Jahr 1937 setzten die NS-treuen Deutschen Christen alles daran, Pfarrer Rackwitz in der Gemeinde zu schwächen. Es wurden Gerüchte über seine baldige Versetzung gestreut, die Hitlerjugend (HJ) drohte den Konfirmanden mit Ausschluss, und sein Kollege lockte mit weniger Lernstoff und Geschenken. Trotz dieser Versuche entschieden sich etwa 180 Konfirmanden für den Unterricht bei Rackwitz, während nur zwei sich für seinen NS-treuen Amtskollegen meldeten.[4]

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Arthur Rackwitz in Ursula Bach, Dorothea Kolland (Hg.). Immer wieder Fremde, Berlin 1994, S. 261, Foto: Museum Neukölln.

Hilfe für Verfolgte

Arthur Rackwitz setzte sich nicht nur durch Predigten und persönliche Überzeugungen gegen das Regime ein, sondern half auch konkret Menschen, die verfolgt wurden. So nahm die Familie Rackwitz für ca. zwei Jahre Annemarie Schneller, die Tochter des SPD und KPD-Politikers Ernst Schneller, der im Konzentrationslager ermordet worden war, auf.

Ein weiteres Beispiel für sein Engagement ist die Familie Schwersenz: Der Vater war jüdisch, die Mutter war zum Judentum konvertiert und die Tochter Ruth galt als „Geltungsjüdin“, was bedeutete, dass sie den gelben Stern tragen musste. Rackwitz taufte sowohl die Mutter als auch die Tochter sowie den 1942 geborenen Sohn. Durch diese Taufe und die anschließende Konfirmation 1944 wurde Ruths Status als „Geltungsjüdin“ in „Mischling 1. Grades“ geändert. Das verschaffte der Familie Erleichterungen, Ruth musste keinen gelben Stern mehr tragen und der Zwangsvorname „Sara“ fiel weg. Ruth Schwersenz überlebte den Krieg in Berlin, ebenso wie ihr Vater, der in einer „privilegierten Mischehe“ lebte.[5]

Seine Hilfsbereitschaft wurde Arthur Rackwitz jedoch zum Verhängnis. Im Jahr 1944 versteckte er Ernst von Harnack, der am Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 beteiligt war. Nach zwei Monaten wurde von Harnack bei der Familie Rackwitz entdeckt und die Gestapo verhaftete auch Arthur Rackwitz. Während Ernst von Harnack hingerichtet wurde, kam Rackwitz in das Konzentrationslager Dachau. Dort blieb er inhaftiert, bis er 1945 durch amerikanische Truppen befreit wurde.

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Familie Rackwitz zusammen mit Annemarie Schneller (rechts im Bild) um 1935, Foto: privat.

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg kehrte Arthur Rackwitz nach Neukölln zurück und setzte sich aktiv für die Entnazifizierung der Kirche ein. Er wurde Teil eines Ausschusses, der die Kirche von nationalsozialistischen Einflüssen reinigen sollte. Kurzzeitig trat er der SED bei, verließ die Partei jedoch bald wieder. Rackwitz engagierte sich zudem für die sogenannte „Stuttgarter Erklärung“, in der die evangelische Kirche ihre Mitschuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus anerkannte. Seine moralische Standhaftigkeit machte Rackwitz in Neukölln erneut zu einer wichtigen Stimme, indem er dafür eintrat, die Verbrechen des NS-Regimes nicht zu vergessen. Rackwitz blieb bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1964 Pfarrer in Neukölln. Er starb 1980, doch sein Vermächtnis lebt weiter. Arthur Rackwitz war nicht nur während der Zeit des Nationalsozialismus ein mutiger Gegner des Regimes, sondern setzte sich auch nach dem Krieg aktiv für die Aufarbeitung der Vergangenheit ein.

Seine Geschichte zeigt, wie wichtig Zivilcourage und Menschlichkeit auch und gerade in schwierigen Zeiten sind. Indem wir Geschichten wie die von Arthur Rackwitz zum Teil unserer Erinnerungskultur machen, tragen wir dazu bei, dass diese moralisch-menschlichen Werte auch zukünftigen Generationen gegenwärtig bleiben.

 

[1] Für weitere Informationen zur Koordinierungsstelle Historische Stadtmarkierungen des Aktiven Museums: https://www.aktives-museum.de/stadtmarkierungen/. ​​​

[2] Vgl. Peter, Ulrich: Kirche in der Weimarer Republik. In: Ursula Bach, Dorothea Kolland (Hg.). Immer wieder Fremde, Berlin 1994, S. 186.

[3] Vgl. Sandvoß, Hans-Rainer: Widerstand in Neukölln, Berlin 2019, S. 216–225.

[4] Vgl. Sandvoß, Hans-Rainer: Widerstand in Neukölln, Berlin 2019, S. 226.

[5] Vgl. Sandvoß, Hans-Rainer: Widerstand in Neukölln, Berlin 2019, S.245-247.