Vor 120 Jahren – der Deutsch-Namibische Krieg (1904-1908)

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© Helga Roth 2021

Dr. Matthias Henkel
Fachbereichsleiter Museum | Stadtgeschichte | Erinnerungskultur
Museum Neukölln

Vor 120 Jahren – am 12. Januar 1904 – beginnt das, was in der älteren Literatur als „Aufstand der Herero“ und später auch der Nama und in der aktuellen Forschung treffender als „Deutsch-Namibischer Krieg“ bezeichnet wird. Der Krieg zwischen der Bevölkerung –  den Ovaherero, den Nama, den Damara, den San – und den kolonialen Truppen des Deutschen Reiches zieht sich bis 1908 hin.

Der deutsche Generalleutnant Lothar von Trotha befiehlt der schließlich auf 14.000 Soldaten anwachsenden Kolonialarmee, mit unmenschlicher Härte gegen die Aufständischen vorzugehen. Das grausame Resultat dieses Vernichtungsfeldzuges, bei dem nicht nur durch die Kriegshandlungen, sondern auch durch Erschießungen, Vertreibung, Verdursten und Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern viele zehntausende Menschen zu Tode kommen, wird heute als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts angesehen. Nach dem Krieg folgte die Totalenteignung des gesamten Land- und Viehbesitzes der Ovaherero und Nama. Dies zwang die Afrikaner:innen zur Sicherung ihrer Existenzgrundlagen sich fortan als billige Lohnarbeiter:innen in der weißen Ökonomie zu verdingen.

Während des Ersten Weltkrieges besetzen im Herbst 1914 Truppen der mit England alliierten Südafrikanischen Union die Lüderitzbucht; im Sommer 1915 kapituliert das Militär des Deutschen Reiches im damaligen Südwestafrika. Formell endet die Geschichte der „Kolonie Deutsch-Südwestafrika“ jedoch erst mit dem Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919.

1920 erklärt der Völkerbund Namibia zum Mandatsgebiet der Südafrikanischen Union. 1951 verschärfte Südafrika seine Politik der Rassendiskriminierung, indem es die für Südafrika geltenden Apartheid-Gesetze auf Namibia ausweitet. Nach langen Kämpfen wird Namibia erst am 20. März 1990 unabhängig. Im Stadion von Windhoek leistet der gewählte Gründungspräsident der Republik Namibia, Sam Nujoma, den feierlichen Amtseid gegenüber dem UNO-Generalsekretär Pérez de Cuéllar.

In Beschlüssen des Deutschen Bundestages von 1989 und 2004 wird eine entwicklungspolitisch besondere Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu Namibia postuliert, aus der eine historisch-moralische Verantwortung erwachse; Deutschland zahlt Namibia seit den 1990er-Jahren umfangreiche Summen für „Entwicklungshilfe“.

Erst Mitte des Jahres 2015 räumt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes bei einer Pressekonferenz in Berlin ein, dass der Vernichtungskrieg der kaiserlichen „Schutztruppen“ in der damaligen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ einem Völkermord gleichkam.
Dem Eingeständnis des Völkermords folgte die Aufnahme bilateraler Verhandlungen zwischen Sonderbeauftragten der deutschen und namibischen Regierung zum Jahresende 2015. Das erklärte Ziel war es, dem nach 110 Jahren anerkannten Tatbestand eine geeignete Form der Völkerverständigung und Aussöhnung folgen zu lassen. Verhandelt wurde – in insgesamt neun Runden – die Form einer Bitte um Entschuldigung und deren Konsequenzen.

Doch maßgebliche Vertretungen der Nachfahren der am meisten betroffenen Bevölkerungsgruppen waren an diesem Aushandlungsprozess nicht beteiligt. Die deutsche Seite war darauf bedacht, eine Form der Bitte um Entschuldigung zu finden, die keine rechtlichen Ansprüche auf Kompensation des verursachten Schadens haben kann. Die Anerkennung des Völkermords schloss deshalb die Anwendung der 1948 durch die Vereinten Nationen verabschiedeten Völkermordkonvention aus. Auch wurde der Begriff der Reparationen vermieden. Es wird darauf verwiesen, dass die damaligen Gewaltakte in heutiger Perspektive als Völkermord gelten würden, dies aber eine moralisch-politische Beurteilung ohne rechtliche Folgen sei.

Der im Mai 2021 vorgelegte Entwurf einer gemeinsamen Erklärung stieß nicht nur bei den bislang marginalisierten Nachfahren der damals am meisten betroffenen Menschen auf scharfe Kritik. In Namibia sind Forderungen immer lauter geworden, neue Verhandlungen für ein überarbeitetes Abkommen aufzunehmen.

Zu einer Unterzeichnung der Erklärung durch die beiden Regierungen wird es in der bislang vorliegenden Form wohl nicht kommen; derzeit werden aber weitere Verhandlungen geführt. Bis zu einer partnerschaftlichen Völkerverständigung und Aussöhnung zwischen Namibia und Deutschland ist es noch ein weiter Weg.

Ankündigung

KURATOREN-Führung
Aus Anlass dieses historischen Datums bietet Dr. Matthias Henkel, der Leiter des Museums Neukölln, am 12. Januar um 17:00 Uhr eine Kuratoren-Führung durch die Ausstellung BURIED MEMORIES an.

Foto: Das Nama & Ovaherero Genocide Monument 1904-1908 auf dem Friedhof von Swakopmund. Das Denkmal wurde am 31. März 2007 vom damaligen Traditional Leader der Ovaherero Kuaima Riruako eingeweiht. © Helga Roth 2021. Wir danken für die Genehmigung zur Veröffentlichung. Entnommen aus: Bernd Heyl (2021): Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte, Postkolonialer Reisebegleiter in die deutsche Kolonialgeschichte. Verlag Brandes & Apsel.