Vom Umgang mit menschlichen Überresten im Museum

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Anika Birker
wissenschaftliche Volontärin im Fachbereich Museum | Stadtgeschichte | Erinnerungskultur

 

Wie kommt ein menschlicher Schädel in die Sammlung eines Regionalmuseums?

Mit dieser Frage beschäftigten wir uns, als im Rahmen einer Inventur in der Sammlung ein Schädel „wiederentdeckt“ wurde. Noch vor wenigen Jahren war es in archäologischen Museen und Ausstellungen durchaus Gang und Gäbe, auch menschliche Überreste zu zeigen. In der aktuellen Ausstellungspolitik ist es hingegen üblich, auf entsprechende Präsentationen weitgehend zu verzichten. Aber: Was passiert mit dem Sammlungsbestand in den Depots und Magazinen der Museen?

Foto eines menschlichen Schädels auf einem Tisch. Der Unterkiefer ist vom Schädel getrennt und liegt vor dem schädel.

Das am 1. Januar 1978 in Kraft getretene Denkmalschutzgesetz des Landes Berlin gibt einen vereinheitlichten Umgang mit Bodenfunden vor: Wer ein Bodendenkmal findet, muss die Arbeiten sofort einstellen und dies unverzüglich der zuständigen Denkmalbehörde melden. Davor war es gängige Praxis, Bodenfunde – zum Beispiel wenn sie bei Straßenbauarbeiten entdeckt wurden – an ein Museum zu übergeben. So geschah es auch auf einer Baustelle an der Magdalenenkirche in Neukölln im Juni 1964. Als ein menschlicher Schädel gefunden wurde. Willy Stange, Mitglied des Neuköllner Heimatvereines, brachte den Schädel in das Heimatmuseum Neukölln (heute Museum Neukölln).

Weitere 60 Jahre später stellten wir uns im Museumsteam der Frage:  Wie wollen wir heute mit einem solchen Fund menschlicher Überreste umgehen, der außer dem Ort der zufälligen Auffindung keinerlei historischen Kontext besitzt? Ist für einen solchen Zufallsfund das Museumsdepot der richtige Ort?

Grundlage für die weiteren Überlegungen stellt die sogenannte „Stuttgarter Empfehlung“ (2003) des unabhängigen und interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitskreises Menschliche Präparate in Sammlungen dar.

Darin heißt es:

„III. Umgang mit Präparaten unbekannter Herkunft, die zeitlich nicht eingeordnet werden können Bestände, die nach einer ersten Begutachtung ungeklärter Herkunft und allem Anschein nach im 20. Jahrhundert entstanden sind, sollten zunächst separiert und einer eingehenden Überprüfung unterzogen werden. Wenn sich nach einer Untersuchung keine Eindeutigkeit der Zuordnung ergibt, sind diese Präparate grundsätzlich zu bestatten, […].“[1]

Eine erste anthropologische Begutachtung ergab, dass es sich wohl um den Schädel eines erwachsenen Mannes handelt. Die starke Abnutzung der Zähne und die ausgeprägte Verzahnung der Schädelnähte weisen darauf hin, dass der Verstorbene 70 Jahre oder älter war.

Die weiteren Recherchen führten uns zum Archiv der Evangelischen Landeskirche, zu den Berliner Wasserbetrieben und den Archiven des Bezirksamtes Neuköllns.

Karte mit einer Grundrisszeichnung.

Die Ergebnisse dieser Recherchen waren jedoch ernüchternd: Sicher festgestellt werden konnte nur, dass die Rohrlegungsarbeiten seinerzeit auf dem Gelände des ehemaligen Friedhofs der Deutsch-Rixdorfer Kirchengemeinde durchgeführt wurden. Dieser Friedhof wurde bereits 1857 stillgelegt, um 1877 dem Bau der neoromanischen Magdalenenkirche Platz zu machen. Somit liegt nahe, dass der Schädel Teil einer Beisetzung war, die zwischen 1819 und 1857 vorgenommen wurde.

Der „Stuttgarter Empfehlung“ folgend entschieden wir uns – im Sinne der Wiederherstellung der Totenruhe – zu einer Bestattung des Schädels auf dem Gelände des heutigen Magdalenen-Friedhofs. Diese fand schließlich am Donnerstag, 20. November 2025, statt.

Gemeinsam mit Pfarrer Florian Wilcke und dem Team der Kirchengemeinde Rixdorf sorgten wir für einen würdevollen Rahmen. Dem Neuköllner Fuhrunternehmen Schöne danken wir für die Bereitstellung des Sarges und die Überführung der sterblichen Überreste.


[1] Arbeitskreis Menschliche Präparate in Sammlungen: „Stuttgarter Empfehlungen zum Umgang mit Präparaten aus menschlichem Gewebe in Sammlungen, Museen und öffentlichen Räumen“ (2003).