Der Stein des Anstoßes. Oder: Wie können wir Kolonialismus ver-lernen?

Der sog. Herero-Stein auf dem Friedhof am Columbiadamm, die Ausstellung BURIED MEMORIES und das koloniale Erbe Deutschlands

Digitale Dokumentation des Ausstellungsprojektes: BURIED MEMORIES. Vom Umgang mit dem Erinnern. Der Genozid an den Ovaherero und Nama. Vom: 5. November 2023 – 21. Juli 2024

Der historisch-faktische und erinnerungskulturelle Rahmen

Das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik Deutschland ist maßgeblich geprägt durch die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus. Auf der Basis der materiellen Hinterlassenschaften und archivalischen Quellen des NS-Terrors ist – gesellschaftlich weitgehend anerkannt – im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland eine institutionalisierte Gedenk- und Erinnerungskultur entstanden.[1]

Demgegenüber existiert bei der Aufarbeitung des Kolonialismus in der deutschen Geschichte ein noch vergleichsweise weißer Fleck. Dieser Umstand ist darauf zurückzuführen, dass der Kolonialismus – bei oberflächlicher Betrachtung – weniger materielle Spuren im deutschen Alltags- und Geschichtsbewusstsein hinterlassen hat. Zudem liegt dieser historische Zeithorizont zwei bis drei Generationen weiter zurück als die NS-Zeit. Ein weiterer Faktor ist die Tatsache, dass die Ausbeutung der deutschen Kolonien vor Ort in Afrika, Asien und im Pazifikraum stattgefunden hat.

Es ist allerdings unstrittig, dass die koloniale Epoche des Deutschen Reiches tiefe und blutige Spuren sowie transgenerationale Traumata in der Welt der Kolonisierten hinterlassen hat. Schließlich war das Deutsche Reich in der Zeit von 1885 bis 1918 – flächenmäßig gesehen – die drittgrößte europäische Kolonialmacht. [2]

Die anhaltenden Diskussionen um das Humboldt Forum im Neubau des Berliner Stadtschlosses und der Umgang mit der kolonialen Raubkunst haben dazu beigetragen, dass die Verantwortung für das koloniale Erbe Deutschlands nun verstärkt in die öffentliche und die kulturpolitische Debatte integriert wurde. Ein wirklich offenes Selbsteingeständnis gegenüber der Anerkennung der moralischen Verantwortung ist jedoch bislang noch nicht im kulturellen Gedächtnis verankert.

Der Stein des Anstoßes:
Die koloniale Perspektive des sog. Herero-Steins

Im Jahr 1907 wird in Berlin-Kreuzberg auf dem Kasernengelände des Kaiser Franz Garde-Grenadier-Regiments Nr. 2 (in der heutigen Urbanstraße 21) ein Gedenkstein gesetzt, der sich im Verlauf der vergangenen 120 Jahre – im doppelten Sinne – zu einem Stein des Anstoßes entwickelt:

  • anstößig deshalb, weil die Aussage der historischen Inschrift eine zutiefst koloniale Perspektive widerspiegelt und ausschließlich sieben getötete Soldaten, die als Mitglieder der sog. Deutschen Schutztruppe am ersten Genozid des 20. Jahrhunderts beteiligt sind, als „Helden“ würdigt – demgegenüber aber die über 80.000 Opfer der Ovaherero, Nama, Damara und San keine Würdigung erfahren;
  • anstoßend deshalb, weil diese koloniale und zugleich kolossale Geschichtsklitterung des Steins dazu den Anstoß geben kann, sich auf der Basis der vorhandenen Quellen mit den wirklich historischen Fakten auseinanderzusetzen.

Der originäre Widmungstext des Steines lautet:

„Von 41 Angehörigen des Regiments, die in der
Zeit vom Januar 1904 bis zum März 1907
am Feldzuge in Süd-West Afrika freiwillig
teilnahmen, starben den Heldentod

Leutnant Richard von Rosenberg
Bodo von Ditfurth
Grenadier Johann Hovel   1 Comp.
Füsilier Johann Orphel         10  "
Franz Dallmann                     12  "
Johann Fausser                     12  "
Karl Kliebisch                        12  "
 

Das Offizierskorps ehrt mit diesem Stein
das Andenken der Helden.“

schwarz weiß Fotografie eines großen Steins mit Inschrift. Um den Stein herum sind Pflanzen. Vor dem Stein liegen Blumenkränze.

 

Das koloniale Relikt wird zum öffentlichen Denkmal

Nach dem Abriss der Kaserne Mitte der 1970er Jahre – nurmehr das herrschaftlich wirkende Offizierskasino steht heute noch und wird als Nachbarschaftshaus genutzt –, wird der Gedenkstein auf Betreiben von militärischen Traditionsverbänden im Jahr 1973 auf das Gelände des ehemaligen Garnisonfriedhofs am Columbiadamm verbracht. [3] Bei der feierlichen Einweihung nach der Translozierung sind auch Vertreter der Neuköllner Stadtgesellschaft anwesend. Zudem wird vor dem sog. Herero-Stein zusätzlich der sog. Afrikastein gesetzt.

Die Widmung auf dieser deutlich kleineren Steinplatte lautet:

„Den in Afrika gefallenen
deutschen Soldaten
im ewigen Gedenken“

vor einem großen Stein mit Inschrift liegt ein kleinerer Stein mit Inschrift. Drum herum sind grüne Pflanzen zu sehen.

 

Im Zusammenhang mit der Umsetzung des sog. Herero-Steines werden zudem zusätzliche Zeichen auf dem kolonialen Gedenkstein angebracht:

  • Links auf seiner Oberseite trägt der Findling heute das Emblem des Verbands Deutsches Afrika-Korps e. V. (= eine Palme im roten Wappen mit dem Eisernen Kreuz und dem Schriftzug „AFRIKA 1941-1943“).
  • Auf der rechten Seite befindet sich das Emblem des Traditionsverbands ehemaliger Schutz- und Überseetruppen (= der stilisierte Schutztruppenhut in den Farben der deutschen Reichsflagge).

Letztlich wird das Relikt aus kolonialer Zeit erst durch die Translozierung auf das öffentlich zugängliche Friedhofsgelände und die genannten Hinzufügungen – 70 Jahre nach seiner ursprünglichen Setzung auf dem Kasernengelände – zu einem öffentlichen Denkmal im öffentlichen Raum.

Die erinnerungskulturelle Aneignung des Steins durch die Traditionsverbände dehnt zudem seine Deutung auf die Epoche des Ersten und Zweiten Weltkrieges aus und verstärkt die koloniale Perspektive des Ensembles, das – in Bezug auf seine Aussage – nach wie vor der historischen Ehrlichkeit entbehrt.

Zwei Steine mit Inschrift, drumherum sind Blumenkränze drapiert.

 

Zwei Steine mit Inschrift sind mit Farbe beworfen worden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In den folgenden Jahren entwickelt sich zunächst eine Erinnerungspraxis der rein kolonial-romantischen Perspektive, die sich dadurch manifestiert, dass anlässlich des jährlich wiederkehrenden Volkstrauertages von den Traditionsverbänden Gedenkkränze am Stein niedergelegt werden.  

Erst in den 1990er Jahren regen sich erste zivilgesellschaftliche Proteste, die dazu auffordern, sich mit der historischen Faktenlage auseinanderzusetzen.

 

Der erste Versuch der Kontextualisierung

Im Vorfeld des 100. Jahrestages der Schlacht am Waterberg im damaligen Deutsch-Südwestafrika, die zum ersten Genozid des 20. Jahrhunderts führte, macht der Berliner Entwicklungspolitische Ratschlag (BER) mit einer Aktion auf dem Friedhof auf den historischen Kontext aufmerksam. 

Das Bild von 2004 zeigt den Aktivisten Israel Kaunatjike am sog. Herero-Stein. [4] Das provisorische Schild weist auf die Opfer des Völkermordes hin. Auf der linken Seite wird durch eine weitere Tafel auf das „Solidaritätsprojekt Otjiwarongo“ hingewiesen. [5] Seinerzeit hat sich Hans Christian Ströbele – Abgeordneter der Partei Grüne/Bündnis 90 – sehr für einen deutsch-namibischen Aussöhnungsprozess eingesetzt. [6] neben dem Stein mit Inschrift stehen zwei Plakate. Rechts vom Stein steht ein Mann mit einem T-Shirt, auf dem Ovaherero Genocide steht.

Auch innerhalb der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln gibt es in dieser Zeit ernsthafte Bestrebungen, den kolonialen Stein mit seiner verstörenden Aussage durch einen zeitgemäßen Kommentar zu kontrastieren und damit die wahren historischen Sachverhalte öffentlich zu benennen. Die Findungsphase zur Abstimmung einer Formulierung nimmt annähernd zwei Jahre in Anspruch. [7] Am Ende wird die Produktion einer Metalltafel in Auftrag gegeben – jedoch kommt es nie zu einer öffentlichen Aufstellung der Stele.

Die Inschrift der Tafel lautet:

Hundert Jahre nach
der blutigen Niederschlagung
antikolonialer Aufstände
durch die deutsche
Kolonialtruppe
in der damaligen Kolonie
Deutsch-Südwestafrika
gedenken wir
der ungezählten,
vermutlich mehr als
60.000 Opfer.

Bezirksverordnetenversammlung
und Bezirksamt Neukölln
Berlin 2006.

Die Tafel wird schließlich in einem Geräteschuppen des Neuköllner Grünflächenamtes verstaut. Erstmals öffentlich gezeigt wird die Tafel schließlich 2023 im Rahmen der Ausstellung BURIED MEMORIES im Museum Neukölln – hier in Zusammenhang mit der Rauminstallation von Isabel Tueumuna Katjavivi. Metallplatte mit Inschrift ist gegen eine weiße Säule gelehnt. Im Hintergrund ist roter Sand mit zum Teil vergrabenen Tonmasken menschlicher Gesichter zu sehen.     

 

Die Namibia-Gedenkplatte von 2009
als zweiter Versuch der Kontextualisierung.

Erst die folgenden Bemühungen, die auf einer Abstimmung zwischen dem Bezirksamt Neukölln, der Berliner Senatsverwaltung, dem Auswärtigen Amt und dem damaligen Botschafter der Republik Namibia in Deutschland beruhen, führen dazu, dass am 2. Oktober 2009 – 105 Jahre nach dem berüchtigten Vernichtungsbefehl von Generalleutnant Lothar von Trotha – die sog. Namibia-Gedenkplatte, als dauerhafte Kommentierung des kolonialen Relikts, auf dem Friedhof am Columbiadamm eingeweiht wird. [8]

Auf Betreiben des Auswärtigen Amts wird bei der Formulierung des Widmungstextes darauf verzichtet, das Wort Genozid zu verwenden; ein Umstand, der zu anhaltenden Protestaktionen von Seiten der engagierten Zivilgesellschaft führt.

Der Text der Gedenkplatte lautet:

ZUM GEDENKEN AN DIE OPFER DER DEUTSCHEN KOLONIALHERRSCHAFT IN NAMIBIA 1884-1915 INSBESONDERE DES KOLONIALKRIEGES VON 1904-1907.
Die Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt Neukölln von Berlin.
„Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“ (Wilhelm von Humboldt). [9]

große Menschenmenge um einen Stein und eine in den Boden eingelassene schwarze Platte. vor dem Stein Ein Stein mit Inschrift, dvor in den Boden eingelassen eine glänzende Platte mit Inschrift in der Form des Landes Namibia,

  

An der feierlichen Enthüllung der Gedenkplatte nehmen führende Vertreter:innen der Stadtgesellschaft, der Botschafter der Republik Namibia, S.E. Neville Gertze, und ein Vertreter des Auswärtigen Amtes teil; auch Vertreter:innen der engagierten Zivilgesellschaft sind eingeladen – erhalten jedoch kein Rederecht.

Bemerkenswert an dem Widmungstext der Namibia-Gedenkplatte ist, dass als Absender einzig das Bezirksamt Neukölln und die Bezirksverordnetenversammlung Neukölln genannt werden. Weder das Auswärtige Amt noch die Senatskanzlei noch der Botschafter der Republik Namibia werden im Text der Widmung als Mitunterzeichner benannt. Dies ist ein Umstand, der den historisch belegten Genozid deutscher Soldaten an der afrikanischen Bevölkerung gewissermaßen zu einer neuköllnisch-namibischen Angelegenheit reduziert.

Ironie der Geschichte: Durch die Einweihung der Namibia-Gedenkplatte wird mit ihrer kommentierenden Wirkung auf den kolonialen Stein, dieser selbst – faktisch gesehen – zu einem öffentlich anerkannten Denkmal. [10]

Mit der Namibia-Gedenkplatte erfolgt zwar die erste dauerhafte Kommentierung des kolonialen Reliktes, jedoch führt die als unzureichend aufgefasste Formulierung nicht zu einer Befriedung der Erinnerungskultur: Weiterhin kommt es zu Farbattacken durch engagierte Menschenrechtsaktivist:innen, während die Traditionsverbände ebenso beharrlich den Volkstrauertag nutzen, um Gedenk-Kränze mit kolonialen Botschaften niederzulegen.

Das koloniale Relikt wird zum Mahnmal

Gruppe Schwarzer Menschen steht zusammen, so, dass nur die schwarze Platte im Boden zu sehen ist. schwarze Gedenkplatte in Form des Landes Namibia mit Blumen daneben.

Das Foto von 2011 ist von besonderer Aussagekraft. Nicht nur, dass es sich bei der Reisegruppe um Vertreter:innen der Affected Communities aus Namibia handelt, sondern auch wegen der Inszenierung dieses Fotos:

  • auf dem Foto verdeckt die Reisegruppe den kolonialen Stein komplett;
  • nur die Namibia-Gedenkplatte ist noch auf dem Gruppenbild zu erkennen;
  • durch das auf der Platte drapierte Gebinde wird die als unzureichend empfundene Formulierung zumindest für diesen Moment symbolisch aufgehoben, denn die Schleife trägt folgende Inschrift: TO THE HERERO AND NAMA – VICTIMS OF THE GERMAN GENOCIDE IN NAMIBIA, 1904-1908;
  • für den Moment des Fotos ist – aus der Perspektive der Opfer – der Zustand der Schuldanerkenntnis hergestellt.

Stets wird das Gedenkensemble auf dem Friedhof am Columbiadamm von Reisegruppen aus Namibia besucht – wie auch hier – am 7. Juli 2015. Im Rahmen der Besuche wird der Ort dann stets im Sinne eines Mahnmals verstanden – als Ermahnung und Erinnerung daran, auf die bislang unaufgearbeitete erinnerungskulturelle Beziehung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Namibia hinzuweisen.

Eine Gruppe Menschen steht um einen großen Stein und eine in den Boden eingelassene Platte herum. Einige Leute tragen Kameras.   

Nahaufnahme des Steins und der Gedenkplatte, die mit roter Farbe beschmiert wurden. Auf dem Stein steht in rot: Black Lives Matter

 

Das Foto aus dem Jahr 2020 macht deutlich, dass das koloniale Relikt auf dem Friedhof mitunter auch als Projektionsfläche aktueller, zeitgeschichtlicher Diskurse genutzt wird.

Durch den gewaltsamen Tod von George Floyd im Jahr 2020 bekommt die bereits 2013 gegründete „Black-Lives-Matter-Bewegung“ erhebliche, weltweite Aufmerksamkeit. [11] Innerhalb weniger Tage erfolgt nach der Farbattacke nach dem 25. Juni auf dem Friedhof am Columbiadamm und vor dem 6. Juli die Beschriftung des Steins mit dem Schriftzug: „BLACK LIVES MATTER“.

Spektakulär ist auch die Verhüllung des kolonialen Relikts, die am 21. März 2021 durch die „Grüne Jugend“ initiiert wird. [12]

 

Ein großer Stein mit Inschrift wird durch drei Personen mit FFP2-Masken mit einem Holzrahmen versehen.  Zu sehen ist ein schwarzer Kasten, mit weißer Schrift: In Gedenken an die Opfer des Völkermordes an den Herero und Name zwischen 1904 und 1908. 6 Menschen stehen um den schwarzen Kasten herum und halten Plakate hoch.

Auch im Juni 2021 erfolgt offensichtlich eine Farb-Attacke auf den Stein. Der historische Zusammenhang ist eindeutig: Ab dem 7. Juni 1904 begann die Verfolgung der Herero durch dies Truppen des Deutschen Reiches.Ein Mann steht neben dem Stein mit Inschrift, der mit roter Farbe beschmiert ist.

Die erinnerungskulturellen Annäherungen
Ausstellung im Museum Neukölln – Schulaustausch (Windhoek/Neukölln) – Kunstperformance

 

Die symbolische Transformation des sog. Herero-Steins
zum Schutztruppenstein

Im Jahr 2022 erhält die namibische Künstlerin Tuli Mekondjo ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). [13] Im Rahmen Ihres Aufenthaltes in Deutschland führt sie eine Performance am Gedenkensemble auf dem Friedhof am Columbiadamm durch, die mit Video dokumentiert wird. Dazu veröffentlicht die Künstlerin zeitgleich folgenden Text auf ihrem Instagram-Kanal:

„The so-called  Hererostein  sits in the garrison cemetery on Columbiadamm in Berlin Neukölln/ First laid in 1907, it commemorates seven German soldiers who volunteered for the campaign in South West Africa between 1904 and 1907 and – as the stones states – “died a hero’s death”. / The truth is, however, that German colonial troops in South West Africa under the command of Lothar von Trotha carried out a campaign of ethnic extermination against the Herero and Namaqua peoples in those years in what is now considered to be the first genocide of the 20th century. / The fact that a monument remains in place today naming the perpetrators of this as heroes has brought much criticism./ A performance at the cemetery, Berlin 2022 [14]

Frau in traditionellem namibischem Gewand mit weißem Turban steht mit dem Rücken zum Stein mit der Inschrift. Der Stein ist mit Schnur umwickelt.

 

In einem Briefwechsel vom 1. Oktober 2025 beschreibt Tuli Mekondjo im Nachgang zu ihrer Performance ihre Intention wie folgt: „In my video/performance, I intervened at this colonial monument, symbolically tying it up to anticipate its physical removal. Accompanied by ancestral voices from Namibia, channeled through a speaker in the cemetery, I reclaimed our power and dignity, demanding recognition. This performance, conducted during my DAAD Artists in Residence program in Berlin (2022–2023), reaffirmed that these battles extend into the spiritual realm. It served as a channel for my ancestors, reminding us that they did not perish in vain and deserve to be honored.“

Auf ihre ganz eigene, charakteristische Weise führt uns die Künstlerin allein schon durch die Fesselung des Steines deutlich vor Augen, dass die Aussage des Steins rein auf die koloniale Perspektive beschränkt ist und dadurch die wahren Opfer bislang aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt werden. Sie benennt den Stein – nach seiner eigentlich faktischen Aussage – als Schutztruppenstein.

 

Schulaustausch zwischen Windhoek und Neukölln

Die Albert-Einstein-Oberschule (AEO) in Neukölln pflegt seit über zehn Jahren mit der in Windhoek ansässigen Hage G. Geingob High School einen Schulaustausch. Durch die enge Partnerschaft zwischen der AEO und dem Museum Neukölln ergab sich die Chance, in Vorbereitung auf die Ausstellung BURIED MEMORIES im Museum Neukölln, [15] im Sommer 2022 mit der binationalen Schüler:innen-Gruppe einen intensiven, einwöchigen Workshop zur kolonialen Erinnerungskultur zu realisieren. Für die Durchführung des kolonialgeschichtlichen Teils des Workshops konnte der Historiker Dr. Joachim Zeller gewonnen werden. Als operatives Ergebnis dieses Workshops gestalteten die deutschen und namibischen Schüler:innen eigene Tonfiguren, die temporär vor dem sog. Herero-Stein als zeitgenössische und zugleich vergängliche Kommentierung niedergelegt wurden.

Schülergruppe vor dem Museum Neukölln

 

eine Gruppe Schüler:innen sitzt an einem Tisch und arbeitet mit Ton.

Eine Schülerin präsentiert ihre Tonskulptur.

Schüler:innen tragen ihre Tonskulpturen.

Schülerin stellt ihre Tonskulptur auf den Boden.

 

Eine sehr aufwändige Intervention am Gedenk-Ensemble auf dem Friedhof am Columbiadamm erfolgt im April 2023: Es wird von den Aktivist:innen nicht nur der sog. Herero-Stein mit einer schablonierten Aufschrift „KEIN RASSISTISCHES GEDENKEN FÜR NAZIS UND VÖLKERMÖRDER“ versehen, sondern auch der Text auf der Namibia-Gedenkplatte wird durch Überklebung umgewidmet. [16]Der Stein mit Inschrift wurde diesmal mit schwarzer Farbe bemalt. Der Stein mit Inschrift wurde diesmal mit schwarzer Farbe bemalt: Kein rassistisches Gedenken für Nazis und Völkermörder.Der Inhalt der Inschrift auf der schwarzen Gedenkplatte wurde durch Überklebung verändert.

Die Ausstellung BURIED MEMORIES
Die Antwort auf einen politischen Antrag mit den Mitteln des Museums

Mit der Schaffung des Fachbereichs Museum | Stadtgeschichte | Erinnerungskultur (FB MSE) zum Jahreswechsel 2021/22 weitet sich auch die fachliche Zuständigkeit des Museums Neukölln explizit in den Stadtraum des Bezirks aus.

Vor diesem Hintergrund wird der Fachbereich MSE durch den Antrag vom 18. Januar 2022 in der Neuköllner BVV aufgefordert, ein Konzept zum Umgang mit dem erinnerungskulturellen Ensemble auf dem Friedhof am Columbiadamm zu entwickeln. Der Fachbereich bietet daraufhin an, zunächst mit den Mitteln des Museums auf diesen Antrag zu reagieren – d.h. mit der Entwicklung eines Ausstellungskonzeptes, das in einem namibisch-deutschen kuratorischen Tandem gemeinsam mit der namibischen Künstlerin Isabel Tueumuna Katjavivi entsteht.

Der Titel der Ausstellung lautet:

“BURIED MEMORIES.
Vom Umgang mit dem Erinnern.
Der Genozid an den Ovaherero und Nama.”

Bereits mit der Formulierung des Ausstellungstitels werden eindeutige Zeichen gesetzt, die die inhaltliche Zielrichtung des gesamten Projektes widerspiegeln sollen:

  • BURIED MEMORIES – ist als Hommage an Isabel T. Katjavivis Installation „They Tried to Bury Us“ von 2018 zu verstehen. Diese Installation bildet das Herzstück der Ausstellung.  
  • VOM UMGANG MIT DEM ERINNERN – ist der programmatische Untertitel, der das Prozesshafte des Erinnerns bzw. des Verdrängens der Verantwortung für das koloniale Erbe verdeutlichen soll.
  • DER GENOZID AN DEN OVAHERERO UND NAMA – ist schließlich der appellative Satz, der die historische Tatsache des Genozids nicht mehr in Frage stellt.

Statement von
Isabel Tueumuna Katjavivi,
Künstlerin und Co-Kuratorin der Ausstellung

Meine Kunstinstallation „They Tried to Bury Us“ ist eine introspektive Reise durch die traumatische Erfahrung, die der Völkermord an den Ovaherero und Nama zwischen 1904 und 1908 darstellt. Es handelt sich um ein oft übersehenes Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte. 

Mit meiner Installation möchte ich dem historischen Trauma dieses Genozids, das die Überlebenden und ihre Nachkommen seit Generationen belastet, im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht geben, um damit das tiefe Gefühl des psychischen Eingeschlossenseins aufzubrechen. Die im Sand verborgenen Masken symbolisieren die 70.000 getöteten Menschen – und gleichzeitig repräsentieren sie die verschütteten und verdrängten Erinnerungen an diese so grausamen Ereignisse. Im Rahmen der Ausstellung nehmen wir eine doppelte Rahmung vor: Dabei geht es zum einen um Konfrontation und zum anderen um die Einbettung: 

Die Konfrontation besteht in der Gegenüberstellung meiner dekolonisierten Perspektive, der Darstellung des nicht gezeigten Leidens der Ovaherero und Nama, auf der einen Seite – mit der kolonialen Perspektive des sogenannten Herero-Steins, der mit seiner Inschrift ausschließlich an sieben getötete deutsche Soldaten erinnert. 

Indem wir meine Installation mit Hilfe einer Timeline aus Fakten und zeitgenössischen Zitaten rahmen, ermöglichen wir es den Museumsbesucher:innen, die historischen Ereignisse und die seit dem laufenden Prozess des kollektiven Verdrängens und der Negation sich eigenständig zu erschließen und einzuordnen.

Im Idealfall entsteht durch diese doppelte Einbettung ein Bedürfnis nach Dialog – und genau hier setzt die Arbeit der Museumsakademie ein. Denn unsere gemeinsame Vision ist es, einen moderierten Dialog der Stadtgesellschaft zu ermöglichen. Uns geht es um den Dialog miteinander – an der Schwelle zwischen Geschichte, Kunst und Gesellschaft. Uns geht es darum, ein gemeinsames Verständnis der historischen Wahrheit zu entwickeln – eine gemeinsame Sprache mit einem neuen Vokabular und einer neuen Grammatik – zur Beschreibung von Trauer, Schmerz und Trauma. Auf dieser Grundlage - das ist unsere Hoffnung – kann ein Dialog der gegenseitigen Heilung entstehen.

(September 2023, Windhoek/Namibia)

Zwei Personen sitzen auf einem Sofa und unterhalten sich. Sie halten Mikrofone. Im Hintergrund ist ein Bild einer menschlichen Tonmaske auf einer Leinwand.

 

Mit Hilfe der Szenografie der Ausstellung gelingt es, der kolonialen Perspektive des sog. Herero-Steins die dekoloniale Perspektive der namibischen Künstlerin Isabel Tueumuna Katjavivi gegenüberzustellen.

Drei Elemente gestalten den Raum:

  • Auf den Kälteschutzvorhang am Eingang zur Ausstellung werden Fotos des sog. Herero-Steins projiziert, der gekennzeichnet ist durch die gespaltene Erinnerungskultur – zwischen kolonial-romantischer Verehrung und aktivistischer Farbattacke.
     
  • Den Ausstellungsraum selbst dominiert die Installation von Isabel T. Katjavivi: in 14 Tonnen Sand liegen die 100 fragilen Gesichter der Künstlerin aus ungebranntem Ton, die die 80.000 Opfer der Ovaherero, Nama, Damara und San repräsentieren und denen damit – im metaphorischen Sinne – erstmals ein Gesicht gegeben wird.
     
  • Bewusst zurückhaltend gestaltet, wird die Inszenierung gerahmt durch eine Timeline aus 64 Tafeln – die Marksteine des Erinnerns bzw. des Verdrängens an den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts widerspiegeln.

Eien Person geht durch einen Vorhang, der aus breiten Plastiklamellen besteht. Auf den Vorhang wird ein bild projeziert. Zwei Männer und eine Frau beugen sich zu einem Sandhaufen. Der Mann in der Mitte vergräbt gerade eine Tonmaske eines menschlichen Gesichts.Ausstellungsraum. In der Mitte ist eine Landschaft aus rotem Sand, in die Tonmasken menschlicher Gesichter eingegraben ist. Links steht ein metallenes Schild an eine Säule gelehnt, die Schrift zeigt in eine andere Richtung. An den Wänden läuft ein schmales Holzregal, auf dem Texttafeln in DinA4 Format stehen,.

 

46 WORTE - AUF DEM WEG ZUR GEMEINSAMKEIT

Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung im Museum Neukölln entwickeln wir gemeinsam mit Isabel Tueumuna Katjavivi und dem Musiker Oli Bott eine Sprach- und Klang-Performance „46 Words to Togetherness“ die im Rahmen der Vernissage als bühnenfüllende Video-Projektion gezeigt wird. [17]

Mit 46 Worten – die wechselweise in englischer und deutscher Sprache vom Kuratoren-Tandem gesprochen werden – wird der historische Prozess des Umgangs mit dem Erinnern von den Zeiten des Genozids bis zum Entschluss zur partnerschaftlichen Kuratierung der Ausstellung BURIED MEMORIES nachgezeichnet. Der Vibraphonist Oli Bott nimmt mit seiner Improvisation diesen Prozess der Annäherung musikalisch vorweg.

Wie sich so oft zeigt, eröffnen künstlerische Mittel mitunter einen Handlungsraum, der durch rein politisches Handeln bislang nicht möglich schien.

Eine Bühne mit einem Musikinstrument, einem Sofa und einem Rednerpult. Im Hintergrund ein Bild in Schwarz-Weiß, dass 2 Menschen zeigt, die direkt in die Kamera schauen.

 

MUSEUM im DIALOG
Der moderierte Dialog mit der Stadtgesellschaft

Über die gesamte Laufzeit der Ausstellung von neun Monaten entwickeln Museum Neukölln und VHS Neukölln mit dem Format MUSEUM im DIALOG einen moderierten Dialog nicht nur mit der Stadtgesellschaft, sondern es ist von Beginn an erklärtes Ziel, auch Vertreter:innen der Affected Communities aus Namibia in den Dialogprozess proaktiv einzubinden.

Call for Moderators

Für die Konzeption und Realisation der Workshops und Seminare ruft das Museum Neukölln Partner:innen aus der engagierten Zivilgesellschaft dazu auf, fachlich fundierte Module im Rahmen von MUSEUM im DIALOG anzubieten; der Call für Moderators dazu wird gemeinsam mit der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (isd) und Afrotak TV cyberNomads veröffentlicht. [18]

Um für das ambitionierte Begleitprogramm einen adäquaten Raum zu schaffen, haben wir mit Unterstützung der Freunde und Förderer Schloß Britz e. V. eine mongolische Jurte erwerben können. Sie findet im Garten des Museums ihren Stammplatz: ganz in der Nähe der Ausstellung – und doch zugleich ein eigenständiger, organischer Raum, der ein natürliches Klima bietet, um Dialoge zu führen.

Zu sehen ist eine Jurte: Ein rundes, weißes Zelt, das eine Holztür hat.

 

Voices from Namibia

Da zeitlich parallel zur Laufzeit der Ausstellung auch das sog. Technical Committee aus Namibia gemeinsam mit Unterhändlern des Auswärtigen Amtes zur Ausfertigung der Joint Declaration on the colonial-era genocide Verhandlungen führt, gelingt es, sieben Repräsentanten der Affected Communities zu Interviews in das Museum Neukölln einzuladen. [19]

 

Ein Mann in anzug sitzt frontal vor der Kamera. Im Hintergrund zu sehen ist ein weißer Raum mit einer Installation aus rotem Sand im Hintergrund. An den Wänden sind Textafeln in DinA4 Format.

Ein Mann sitzt frontal zur Kamera. Im Hintergrund sieht man eine Installation mit rotem Sand. An den Wänden befinden sich Texttafeln.

Ein Mann sitzt frontal zur Kamera. Im Hintergrund sieht man eine Installation mit rotem Sand. An den Wänden befinden sich Texttafeln.

Ein Mann sitzt frontal zur Kamera. Im Hintergrund sieht man eine Installation mit rotem Sand. An den Wänden befinden sich Texttafeln.

Ein Mann sitzt frontal zur Kamera. Im Hintergrund sieht man eine Installation mit rotem Sand. An den Wänden befinden sich Texttafeln.

Ein Mann sitzt frontal zur Kamera. Im Hintergrund sieht man eine Installation mit rotem Sand. An den Wänden befinden sich Texttafeln.

Ein Mann sitzt frontal zur Kamera. Im Hintergrund sieht man eine Installation mit rotem Sand. An den Wänden befinden sich Texttafeln.

 

Der Tenor der Aussagen der Repräsentanten ist eindeutig darauf fokussiert, sich für die Entwicklung einer gemeinsamen Erinnerungskultur zum kolonialen Erbe – das als gemeinsames Erbe und damit als Auftrag für die künftigen Generationen verstanden wird – zu engagieren.

 

Statements von Expert:innen

Foto eines Handys, auf dem eine Frau, während eines Videocalls zu sehen ist.

Ein Mann steht an dem Stein mit der Inschrift. Er hat beide Hände auf den Stein gestützt.

Ein Mann sitzt frontal zur Kamera, im Hintergrund ist ein Arbeitszimmer mit Bücherregal und Pflanzen zu sehen.

Ein Mann vor weißem Hintergrund.

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Die Podiums-Gespräche

"Quo vadis Herero-Stein?" [20]
1. Podiumsgespräch am: 31. Januar 2024 im Museum Neukölln

Podium mit 5 Personen, 3 Männer, 2 Frauen sitzen zusammen und sprechen.

Im Rahmen des ersten Podiumsgespräches geht es um die erinnerungskulturell-denkmalpflegerische Bestandsaufnahme des Gedenkensembles auf dem Friedhof am Columbiadamm.

Gäste auf dem Podium sind:

  • Moderation: Dr. Matthias Henkel
  • Prof. Dr. Gabriele Dolff-Bonekämper Kunsthistorikerin und Denkmalpflegerin

(01:14:20 ff.) „Man kann sich nur an etwas erinnern, was man wusste. […] Zu dem Komplex der Erinnerung gehört der Komplex der Vermittlung und das Lernen. […] Das ist mit Ortserfahrung, eigener Körpererfahrung und mit Gemütsbewegungen verknüpft. Dadurch wird es auch auf eine ganz andere Weise gelernt, als wenn man einen Text in einem Buch durchliest. […] Es muss [uns] um eine Vermittlungskultur und nicht um eine Erinnerungskultur gehen.
 

  • Israel Kaunatjike, Herero und Aktivist

(01:15:43 ff.) „Erinnern heißt, ich muss mich hineinversetzen in die Geschichte […] Erinnerung hat mit Aufarbeitung zu tun. […] (01:23:40ff.) Also, das ist ein historischer Ort. Das kann man nicht einfach ignorieren und einfach sagen „alles muss weg, oder so!“ - finde ich, das hat mich überzeugt.“
 

  • Jens Rieser, Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde, Bezirk Neukölln

(00:31:32 ff.) „Der Stein steht in einem Gelände, das ein Gartendenkmal ist. […] Der Stein ist also auch Bestandteil dieses Gartendenkmals. […] Es ist ein anstossendes Denkmal […] Und ich bin total gespannt darauf, was da noch draus wird.“
 

  • Dr. Urte Evert, Leiterin des Museums Zitadelle Spandau

(00:33:28 ff.) „Warum ist in unserer Ausstellung „Berlin und seine Denkmale“ kein Denkmal, dass für den Kolonialismus steht? […] Im Prinzip ist es eine Sammlungslücke. Insofern dachte ich, als Christian Kopp anrief, ich kann die Sammlungslücke schließen. […] Ich finde es toll, dass der Prozess hier stattfindet – wie er stattfindet. […] Es geht eigentlich nicht um die Hässlichkeit eines Findlings – sondern es geht um die Unsichtbarkeit derer, die darunter gelitten haben.“
 

  • Schlusswort von Bezirksstadträtin Karin Korte: (01:22:40ff.)Ich habe heute Abend so einen Hauch davon bekommen, dass [der Stein und seine Geschichte] ein Stück größer ist als Neukölln; das sage ich jetzt mal ganz vorsichtig. Neukölln hat es angestoßen. […] Aber darüber hinaus ist es größer; da müssen andere mitmachen, das Land und auch der Bund, wenn es um den „Findling“ geht.“

 

„Koloniale Kontinuitäten: Der Herero-Stein und seine historischen Schichtungen.“

2. Podiumsgespräch am 4. Juli 2024 im Museum Neukölln

 

zwei Männer und eine Frau sitzen gemeinsam vor einem Plastikvorhang, auf den ein Bild projeziert wird. Sie diskutieren miteinander.

 

Das derzeitige Gedenkensemble auf dem Friedhof am Columbiadamm – bestehend aus dem sog. Herero-Stein und der Namibia-Gedenkplatte – hat im Verlauf der Geschichte mehrfach Umschreibungen erfahren. Die Analyse der sichtbaren und unsichtbaren historischen Schichtungen des Gedenkensembles ist Gegenstand des Podiumsgespräches.

Die Gäste auf dem Podium sind, neben dem Moderator Dr. Matthias Henkel:

  • Dr. Patrick Helber, Historiker

Ist Historiker und Politikwissenschaftler. Er arbeitet seit 2021 als Kurator für Bildung und Vermittlung im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst im Humboldt Forum. Sein wissenschaftliches Volontariat absolvierte er im Museum Neukölln.

  • Dr. Sabine Küntzel, Historikerin

Studierte Geschichtswissenschaften und Germanistik in Leipzig und Berlin und promovierte an der TU Dresden am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, wo sie auch wissenschaftliche Mitarbeiterin im SFB 1285 „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ war. Ihre Doktorarbeit ist 2023 im transcript Verlag unter dem Titel „Kolonialismus im Krieg. Die Kriegserfahrung deutscher Wehrmachtsoldaten im Nordafrikafeldzug, 1941-1943“ erschienen.

 

 

"Zwischen Translokation und Transformation
– der sog. Herero-Stein und die Zukunft des Erinnerns"
[21]

3. Podiumsgespräch am 16. Juli 2024 im Museum Neukölln

Zwei Frauen und drei Männer sitzen zusammen auf einer Podiumsdiskussion und reden.

 

Vom Umgang mit dem Erinnern – das ist nicht nur einer der beiden Untertitel unserer Ausstellung, sondern bildet zugleich den gedanklichen Kern des gesamten Projektes: Es geht einerseits um das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart – und andererseits darum, wie wir auf der Basis des historisch Faktischen und des intersubjektiv Erfahrenen eine Brücke zwischen Deutschland und Namibia schlagen können – eine Brücke für ein zukunftsgewandtes, gemeinsames Erinnern. Es ist unsere Intention, über die Entwicklung der materiellen Beschaffenheit der bestehenden Erinnerungszeichen, aber auch der existierenden Leerstellen im Berliner Stadtraum hinaus, eine zukunftsfähige Erinnerungskultur im gesellschaftlichen und interkulturellen Raum zu verankern. Diese Gedanken bildeten die Grundlage für das Podiumsgespräch.

Die Gäste auf dem Podium sind:

  • Dr. Matthias Henkel, Moderation
  • Heidemarie Wieczorek-Zeul (BMin a. D.)

(Min. 00:04:33ff.) „Also ich bin geprägt durch Fritz Bauer, den Generalstaatsanwalt, der seinerzeit die Auschwitz-Prozesse in Gang gesetzt hat. […] Wer anderen Menschen die Menschlichkeit abspricht, der ist selbst auf dem Weg in den Abgrund des Rassismus. Das hat mich für mein Leben geprägt. […] (00:06:44ff.) Als die Bundesregierung 2004 die Einladung zu einer Veranstaltung am Waterberg bekam […] habe ich gesagt: „Da gehe ich hin!“ […] Es ist das Ereignis in der Deutschen Geschichte, für das bislang niemand Verantwortung übernommen hat. […] Die Anerkenntnis von Schuld war das, was mich bewegt hat. […] 00:09:20ff.) Es ist jetzt aber auch endlich an der Zeit, dass es zu einem gemeinsamen Erinnern kommt. […] (00:37:31ff.) Mit Bezug auf die Landreform in Namibia: Mir ist wirklich wichtig, dass es den eigentlichen Nachfahren der Opfer wirklich besser geht – und insbesondere für die jungen Menschen, die nächste Generation. Das sind Zukunftsaufgaben, die wir unterstützen sollten.“

  • Israel Kaunatjike, Herero und Aktivist

(Min. 00:13:00 ff.) „Als Namibia 1990 unabhängig wurde, hat mich die Frage beschäftigt: Was war eigentlich davor? Der Völkermord an den Ovaherero und Nama – und da habe ich gesagt: Jetzt muss ich mich engagieren. […] 2004 haben wir die erste Dokumentation „Weiße Geister“ gedreht [22]. Und Frau Wieczorek-Zeul war eine große Motivatorin, das Verbrechen beim Namen zu nennen. […] (00:44:26 ff.) Natürlich, die Geschichte muss man sichtbar machen. Für mich ist die Frage: Bleibt dieser Riesenkoloss da, oder muss er weg? Ich bin da etwas geteilter Meinung.“

  • Hannimari Jokinen, freischaffende Künstlerin, Kuratorin, Autorin und Aktivistin

(Min. 00:38:30 ff.) „Die Dekolonisierung des öffentlichen Raumes ist wichtig. Wo sind Spuren des Kolonialismus im Stadtraum? […] Bestehende Denkmale bekommen mitunter neue Attribute. Das Interesse in der Öffentlichkeit hat in den vergangenen 10 Jahren wirklich zugenommen. […] Auch durch Vermittlung verändern sich Denkmale und Straßennamen. […] (00:51:14 ff.) Es gibt verschiedene künstlerische Mittel, um Denkmale zu dekonstruieren; schon die rote Farbe kann ein Mittel sein; oder performative Mittel; Es gibt in vielen außereuropäischen Kulturen nicht so die Tradition vom Denkmal – das ist eher eine westliche Erfindung. Demgegenüber gibt es viele Kulturen, die durch Tanz, Musik etc. ihre Erinnerung in Bewegung bringen. Es ist die Frage: Brauchen wir Denkmale für die nächste Ewigkeit? … Die um den Bundestag herumstehen – aber kaum eine Auseinandersetzung damit stattfindet. […] Darf man in die Substanz eines Denkmals eingreifen, wenn man daraus ein Gegendenkmal machen will? [...] Auch ein Spiel mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit wäre möglich. [...] Schafft man Flächen, die ganz andere Botschaften vermitteln können. [...] Ein wichtiger Punkt ist auch, dass man die Debatte dokumentiert, die es um das Denkmal gab. [...] Ich glaube, das Kunst es schafft, einen ästhetischen Zugang zu dieser sehr komplexen Geschichte hinzukriegen – wir brauchen Infotafeln, aber die künstlerische Auseinandersetzung verändert die Wahrnehmung; schafft zusätzlich ein offenes Assoziationsfeld. Deshalb finde ich den internationalen Wettbewerb zu EarthNest sehr spannend. […] Wie wäre es zum Beispiel, wenn es ein Doppeldenkmal gäbe – in Namibia und in Deutschland?

  • Dr. Joachim Zeller, Historiker  

(Min. 01:13:00 ff.) „Mir widerstrebt es, den Schutztruppenstein immer so ernst zu nehmen – er lässt ja mehr vergessen, als dass er erinnert. […] Ist das Medium Denkmal eigentlich noch Up To Date – aus Bronze oder Stein da etwas hinzustellen? Ist nicht die digitale Präsenz der viel wichtigere Auftritt? Müssen wir den Erinnerungsraum nicht viel mehr in den virtuellen Raum verlegen, damit wir eben auch die gesamte Breite der Bevölkerung erreichen, denn die kommt nicht auf den Friedhof in Neukölln. […] Ich finde den Akt der Verfremdung einen guten Ansatz – den Stein aber unbedingt auch am Ort zu belassen. […] Wir haben bis heute in Berlin kein zentrales Denkmal in Erinnerung an die Kolonial-Verbrechen. […] Was immer auch gemacht wird: Bringt es auch ins Netz!“

 

COMING HOME DEAD
Dem transgenerationalen Trauma eine Stimme geben

Ein dramaturgisch sehr bewegendes Ereignis im Rahmen von MUSEUM im DIALOG ist ohne Zweifel das Bühnenstück einer Nama-Theatergruppe: „COMING HOME DEAD - Expressing a Narrative of the 1904-1908 Genocide as a Nama Descendant“. Die Aufführung wurde durch die Förderung der Heinrich-Böll-Stiftung möglich.

Sehr eindringlich wird dadurch deutlich, dass der erste Genozid des 20. Jahrhunderts in Namibia noch heute transgenerationale Traumata hervorruft. [23]   

Ein Mann in weißer Kleidung vor schwarzem Hintergrund.

EarthNest
Das Dekoloniale Denkzeichen
             

 

Etwa zeitgleich zur Laufzeit der Ausstellung BURIED MEMORIES wird im Berlin Global Village ein internationaler Kunst-Wettbewerb ausgeschrieben – zur Entwicklung eines Dekolonialen Denkzeichens. Es gelingt, die Präsentation der Shortlist des Wettbewerbs im Kulturstall von Schloss Britz zu präsentieren: Dies stellt eine einzigartige Chance dar, denn auf diese Weise kann die Vergangenheit des (Nicht)Erinnerns – repräsentiert durch den sog. Herero-Stein – und die Zukunft des Erinnerns – repräsentiert durch den Siegerentwurf des Wettbewerbs „EarthNest“ – in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander präsentiert werden.

Gitterartiges, eiförmiges Gebilde aus Metall zwischen zwei Häusern. Es hat zwei offene Bereiche, durch die man hindurchgehen kann.

Durch diese zeitliche und inhaltliche Koinzidenz des Ausstellungsprojektes und des Denkmal-Wettbewerbs eröffnet sich die Möglichkeit der institutionellen Verankerung für Entwicklung einer zukunftsgewandten und mit der Zivilgesellschaft verbundenen Erinnerungskultur zum kolonialen Erbe Deutschlands.

Mitunter bleibt die klassische Erinnerungskultur in einem auf Fakten basierten Versuch der Bewältigung von Vergangenheit stecken. Dabei wird die emotional-körperliche Ebene der generationsübergreifenden Traumata mitunter außer Acht gelassen. Sowohl das vergangenheitsorientierte Erinnern als auch das zukunftsgewandte Imaginieren sind jedoch wichtige Prozesse, um sich selbst und die Welt besser verstehen zu können und sich gemeinsam im Miteinander weiterzuentwickeln.

Die bereits im Entwurf zum Dekolonialen Denkzeichen spürbare transformatorische Kraft des EarthNest, die zugleich Geborgenheit, Werden, Schutz und Gemeinsamkeit – mithin die „Ermächtigung und Heilung durch Kunst“ (Jeannette Ehlers) – ausstrahlt, lässt erwarten, dass sich das „Dekoloniale Denkzeichen“ zukünftig als Ort entwickelt, der bislang ungeahnte Begegnungen und soziale Interaktion nicht nur zulässt, sondern auch initiiert. [24]

 

Anschauung, Andacht und Aufklärung

Der Vorschlag des Museums Neukölln, auf den kulturpolitischen Auftrag durch die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung zur Entwicklung eines zukunftsgewandten Konzeptes zum Umgang mit dem sog. Herero-Stein zunächst mit der Kuratierung einer Ausstellung zu reagieren, hat sich als überaus erfolgreich erwiesen; dies insbesondere deshalb, weil die Szenografie in einer deutsch-namibischen Partnerschaft entwickelt wurde. Dieses partnerschaftliche, transnationale Vorgehen wurde auch in der Entwicklung des begleitenden Programms MUSEUM im DIALOG voll verwirklicht. Auf diese Weise konnten im Verlauf der Ausstellung viele authentische Stimmen – auch und gerade aus Namibia – gehört werden.

Der künstlerisch-szenografische Ansatz bestand darin, einerseits durch die Rauminstallation von Isabel T. Katjavivi und andererseits durch die Video-Projektion von Martin Sulzer  einen Raum zu schaffen, der gleichermaßen Andacht, Anschauung und Aufklärung miteinander vereint. Diese inhaltliche und ästhetische Intention hat in der Tat dazu geführt, dass die Ausstellung nicht nur international wahrgenommen wurde, sondern auch ein bleibendes internationales Netzwerk von Forschungs-Partner:innen entstand.

An dieser Stelle gebührt unser herzlicher Dank dem Auswärtigen Amt, der Botschaft der Republik Namibia und der Heinrich-Böll-Stiftung, durch deren Hilfe die internationale Vernetzungsarbeit ermöglicht wurde.

Auf der Basis all dieser Erfahrungen – durch Workshops, Seminare, Hintergrundgespräche, Führungen und Diskussionen, Vorträge und nicht zuletzt auch durch drei sehr intensive Podiumsdiskussionen – wurde schließlich der BVV Neukölln am 3. September 2024 ein Konzept zum Umgang mit dem sog. Herero-Stein vorgestellt.

 

Die 3-fache Transformation.
Der sog. Herero-Stein als sein eigenes Gegendenkmal.

In der Sitzung der Neuköllner BVV vom 03.09.2024 wird das Museum Neukölln für die Ausstellung und das vielfältige Begleit- und Beteiligungsprogramm parteiübergreifend gelobt. Der Fachbereich Museum | Stadtgeschichte | Erinnerungskultur schlägt im Rahmen der öffentlichen Sitzung eine dreifache Transformation vor, durch die das Relikt aus kolonialer Zeit zu seinem eigenen, dekolonialen Gegendenkmal würde, ohne dabei die historischen Spuren zu löschen:[25]
 

a) Die physische Drehung des Herero-Steins mit der kolonialen Widmung um 180 Grad
Durch diese Maßnahme würde die vormalige Schauseite mit der kolonialen Aussage des Steins aus der direkten Blickachse gedreht. [26] Die dann im Zentrum der Aufmerksamkeit stehende ehemalige Rückseite des Steins würde den Raum bieten, um eine dekoloniale Botschaft zu formulieren. Gerade bei Lehr- und Vermittlungsangeboten im schulischen oder allgemein erinnerungskulturellen Kontext würden sich durch den Vergleich der beiden unterschiedlichen Aussagen erhellende Diskurse ergeben.
 

b) Bildung einer Findungskommission gemeinsam mit Vertreter:innen der vom Völkermord betroffenen Bevölkerungsgruppen in Namibia
Dieser partnerschaftliche Akt der Co-Creation würde gewährleisten, dass eine zeitgemäße Formulierung entwickelt wird, die die historisch-faktische Situation zum ersten Genozid des 20. Jahrhunderts anerkennt und zugleich die emotionale Basis liefert, künftig an einer gemeinsamen Erinnerungskultur zum kolonialen Erbe Deutschlands zu arbeiten. [27]
 

c) Kontinuierliche Kooperation des Fachbereichs Museum | Stadtgeschichte | Erinnerungskultur mit dem Team des Dekolonialen Denkzeichens EarthNest
Eine solche Kooperation haben wir ansatzweise am Tag des offenen Denkmals 2025 modellhaft konzipiert – dies mit dem Ziel, erinnerungskulturelle Module für eine zukunftsgewandte Erinnerungskultur zur Verantwortung für das koloniale Erbe Deutschlands zu entwickeln.

 

Der vom Museum Neukölln erarbeitete Vorschlag einer dreifachen Transformation des Gedenkensembles, durch den sich der Herero-Stein gleichermaßen zu seinem eigenen Gegendenkmal entwickelt hätte, fand in der BVV leider keine politische Mehrheit. Demgegenüber wurde – mit den Stimmen der SPD, GRÜNE und LINKE – die Entfernung des Steins beschlossen.

Aus erinnerungskulturell-fachwissenschaftlicher Einschätzung wird mit dieser politisch getroffenen Entscheidung momentan die Chance nicht genutzt, gemeinsam mit Vertreter:innen der vom Völkermord betroffenen Bevölkerungsgruppen in Namibia eine neue, zeitgenössische und der historischen Ehrlichkeit verpflichtete Widmung zu entwickeln.

 

Sondierung für einen musealen Standort für den sog. Herero-Stein
und die Namibia-Gedenkplatte

Das Museum Neukölln befasst sich gemäß des politischen Auftrags vom 3. September 2024 damit, einen geeigneten musealen Standort für das Ensemble zu finden.

Entsprechende Sondierungsgespräche wurden geführt:

  • mit dem Generalintendanten des Humboldt Forums
  • mit dem Präsidenten des Deutschen Historischen Museums [28]
  • mit der Direktorin der Stiftung Stadtmuseum
  • mit der Leiterin des Museums Zitadelle Spandau

Aus Gründen der technischen Machbarkeit kann das Gedenkensemble vom Friedhof am Columbiadamm einzig auf der Zitadelle Spandau eine museale Präsentation erhalten, weil nur hier eine ebenerdige Anlieferung möglich ist.

 

Die erinnerungskulturelle Leerstelle

Der politisch formulierte Auftrag zur Entfernung des sog. Herero-Steins ergibt nur dann Sinn, wenn beide Bestandteile – d.h. der sog. Herero-Stein und die Namibia-Gedenkplatte – gleichermaßen von ihrem Standort entfernt werden.

Schließlich ist die Namibia-Gedenkplatte erinnerungskulturell nur als Kommentar zu verstehen – und zugleich als gescheiterter Versuch einer Kontextualisierung des sog. Herero-Steins. Obendrein entspricht der Widmungstext der Gedenkplatte nicht mehr dem erinnerungspolitischen Status Quo.

Folgerichtig muss für die dann entstehende erinnerungskulturelle Leerstelle vor Ort ein neues Konzept für ein angemessenes Erinnern an den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts entwickelt werden.

Ob eine geschichtsdidaktische Rückanbindung an die beiden dann vom Friedhof entfernten Erinnerungs-Elemente gelingt – auch auf diese Frage muss erst noch eine schlüssige Antwort entwickelt werden.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass zwischenzeitlich das Konzept „Kolonialismus erinnern. Ein gesamtstädtisches Erinnerungskonzept“ vorliegt und bei der weiteren erinnerungskulturellen Entwicklung Berücksichtigung finden sollte. [29]

Zwischenresümee und Ausblick

Das Museum Neukölln wird seinen begonnenen Weg fortsetzen, gemeinsam mit der Albert-Einstein-Oberschule den seit 10 Jahren laufenden Schulaustausch zwischen Windhoek und Neukölln mit dekolonialen Workshops proaktiv auch zukünftig zu begleiten. Gemeinsam mit der Senatskanzlei arbeitet das Museum Neukölln daran, die Städtepartnerschaft Berlin-Windhoek, die in 2025 ihr 25jähriges Jubiläum begeht, mit einem erinnerungskulturellen Programmangebot zu begleiten.

Aus Anlass des Tages des offenen Denkmals 2025 hat – ermöglicht durch „Denk mal an Berlin“ – eine Gruppe von Schüler:innen im Rahmen eines Workshops die Thematik des dekoloniales Erinnerns bearbeitet.

eine Gruppe von ca. 20 menschen verschiedenen Alters steht um Afrika-gedenkplatte herum.

 

Im Museum Neukölln entsteht eine neue Abteilung der Dauerausstellung, die sich der Frage des Erinnerns im Stadtraum widmet, denn der Stadtraum kann – wenn es gelingt die historischen Spuren sichtbar zu machen – auch als begehbares chronographisches Exponat verstanden werden; als ein mehrdimensionaler Ort, der durch das Nebeneinander historischer Spuren Geschichten aus unterschiedlichen Epochen erzählt.

Wie sich zeigt, sind die kolonialen Spuren in unserem Alltag durchaus gegenwärtig; sie sichtbar, lesbar und verständlich zu machen, ist eine Arbeit, die gerade an der Schnittstelle zwischen Museum, Schule und engagierter Zivilgesellschaft wertvolle Früchte der transnationalen und transgenerationalen Verständigung tragen kann.

 

Epilog

Die Antwort auf die in der Überschrift gestellte Frage:

„Wie können wir Kolonialismus ver-lernen?“

lässt sich zugleich leicht und schwer beantworten:

  • Die Grundlage allen Handelns ist die intensive Erforschung der jeweiligen historischen Faktenlage. Dafür sind alle zur Verfügung stehenden Quellen zu nutzen.
  • Neben der rein faktischen Ebene ist – gerade im Feld der transgenerationalen Erinnerungskultur – die emotionale, sinnliche und ästhetische Ebene mitzudenken, denn schließlich kann ein gemeinsames, zukunftsgewandtes Erinnern nur als Produkt eines partnerschaftlichen Umgangs zwischen den Nachfahren der vormals Kolonisierten und den Nachfahren der ehemaligen Kolonisierenden gelingen.
  • Auf diese Weise schafft das Ver-lernen historischer Praktiken und kolonialer Muster die Basis für ein verstehendes, zukunftsgewandtes Miteinander.  

Stein mit Inschrift ist komplett mit roter Farbe übergossen worden.

 

Das Foto des sog. Herero-Steins vom 29.10.2024 mit dem Schriftzug FREE PALESTINE macht deutlich, dass auch die Geschichte von Gewalt, Unrecht und Unterdrückung ihre Wurzeln stets in der jeweiligen Gegenwart hat; oder um es mit den Worten des Künstler Maurizio Nannucci zu formuliert:

All Art Has Been Contemporary.

 

Grafik über die erinnerungskulturelle Genese des sog. Hererosteins. Enwticklung von der Setzun 1907 bis zur 'Einweihung der Namibia Gedenkplatte 2009.

 

Der sog. Herero-Stein, der im eigentlichen Sinne ein Gefallenen-Denkmal aus kolonialem Kontext ist, steht – dies zeigt die Graphik deutlich –steht mit seiner eigenen komplexen und widerstreitenden historischen Genese für den Status Quo der erst noch zu entwickelnden erinnerungskulturellen Aufarbeitung der Verantwortung für das koloniale Erbe Deutschlands.

 

Impressum
 

Text:
Dr. Matthias Henkel

 

kuratorisches Team der Ausstellung BURIED MEMORIES
Isabel Tueumuna Katjavivi
Dr. Matthias Henkel

 

wissenschaftliche Recherche
Bärbel Ruben / Harriet Merrow

Übersetzung
Harriet Merrow

 

visuelles Erscheinungsbild: die hingucker
Szenographie der Ausstellzung: Claudia Bachmann / Gesine Ullmann
Videoinstallation: Martin Sulzer

 

Unser besonderer Dank für die fachlichen Gespräche und Beratung gilt:

Marcus Albrecht, Prof. Dr. Adam Blackler, Thomas Fues, Bernd Heyl, Naita Hishoono Israel Kaunatijke, Christian Kopp, Reinhart Kößler, Kirsten Krampe, Tuli Mekondjo, Prof. Dr. Henning Melber, Ursula Trüper, Dr. Joachim Zeller sowie den Repräsentanten der Affected Communities aus Namibia.

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[1] Erst die abschließende Bewertung des Gedenkstättenkonzeptes des Bundes wird zeigen, ab die DNA des kulturellen Gedächtnisses der Bundesrepublik Deutschland aus einer Trias besteht: Neben der Aufarbeitung der NS-Zeit und der zeitgeschichtlichen Bearbeitung der deutsch-deutschen Geschichte eben auch die Befassung mit der Verantwortung für das koloniale Erbe. Vgl. https://www.bundestag.de/resource/blob/1110098/WD-1-018-25-WD3-053-25.pdf [zuletzt aufgerufen am 29.10.2025].

[2] Nur ein Beispiel: Trotz jahrelanger Verhandlungen ist die sog. Joint Declaration zwischen Deutschland und Namibia bislang nicht ratifiziert worden, was allerdings nicht nur auf der Zögerlichkeit der deutschen Außenpolitik beruht, sondern auch an den komplexen gesellschaftlichen Verhältnissen in Namibia.

[3] Die Translozierung wurde auf Betreiben von Traditionsverbänden – wie der Afrika-Kameradschaft Berlin (AKB), dem Verband Deutsches Afrika Korps e.V. (https://verband-dak.de/ ([zuletzt aufgerufen am 29.10.2025] und dem Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen – Freunde der früheren deutschen Schutzgebiete e. V. https://www.traditionsverband.de/– betrieben [zuletzt aufgerufen am 29.10.2025]. Vgl. Johannes Wendt: Der Afrikastein: Verstaubtes Gedenken an deutsche Kolonialzeiten in Namibia. Entwicklungspolitik Online (epo), 28. Juni 2008. https://epo.de/3986-der-afrikastein-verstaubtes-gedenken-an-deutsche-kolonialzeiten-in-namibia/ [zuletzt aufgerufen am 29.10.2025].

[4] https://genocide-namibia.net/ [zuletzt aufgerufen am 29.10.2025].

[5] Im Vordergrund ist der sog. Afrika-Stein zu erkennen, der offensichtlich zu dieser Zeit noch nicht entwendet worden war.

[6] http://www.stroebele-online.de/print/presse/pressemitteilungen/35818 [zuletzt aufgerufen am 29.10.2025].

[7] Aus diesem Grund ist auf der Platte auch das Datum 2006 und nicht 2004 vermerkt.

[8] Spätestens mit der Installation der Namibia-Gedenkplatte wird der Afrikastein aus den 1970er Jahren entfernt. Wie und durch wen dies erfolgte, ist ebenso wie dessen Verbleib bis heute ungeklärt.

[9] Vgl. auch https://www.gedenkstaettenforum.de/aktivitaeten/gedenkstaettenrundbrief/detail/gedenken-an-den-voelkermord-an-den-herero-und-nama#:~:text=Am%202.%20Oktober%202009%2C%20105%20Jahre%20nach,f%C3%BCr%20die%20Opfer%20der%20deutschen%20Kolonialherrschaft%20eingeweiht vgl. auch https://www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/2009-Zeller-Namibiagedenkstein-Berlin.htm sowie

https://www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/Rez-Waterberg-Berlin.htm [zuletzt aufgerufen am 29.10.2025].

[10] Allerdings ist weder der koloniale Stein noch die Namibia-Gedenkplatte offizieller Bestandteil der Berliner Denkmalliste.

[11] https://www.nytimes.com/2020/05/31/us/george-floyd-investigation.html und zur Black-Lives-Matter Bewegung siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Black_Lives_Matter (zuletzt aufgerufen am 05.09.2025).

[12] Die Aktion „Der Opfer statt der Täter gedenken!“ findet aus Anlass des Internationalen Tages  gegen Rassismus statt. Vgl. https://susanna-kahlefeld.de/neukoelln/einzelansicht-neukoelln/article/der-opfer-statt-der-taeter-gedenken-unsere-verhuellungsaktion-des-sogenannten-afriksteins

[13] https://www.berliner-kuenstlerprogramm.de/de/events/common-ground-tuli-mekondjo-susana-de-sousa-dias/ (zuletzt aufgerufen am 26.09.2025).

[14] https://www.instagram.com/p/CzD3K3usFyz/ [zuletzt aufgerufen am 26.09.2025].

[15] https://schloss-gutshof-britz.de/museum-neukoelln/geschichtsspeicher/ausstellungsthemen/buried-memories

[16] Auf diesen Fotos ist ein rötlicher Lehmschleier auf der Pflasterung zu erkennen. Es handelt sich um die Reste der Performance mit den Schüler:innen. Diese Sichtbarmachung von Vergänglichkeit war seinerzeit ein konzeptioneller Bestandteil der Performance, um deutlich zu machen, dass jede Form des Umgangs mit Erinnerung als ein im Wandel befindlicher Prozess anzusehen ist.

[17] Video 46 Words to Togetherness: https://youtu.be/cSSrg3eC8Pk?si=ms3QmZE13rmtVrj0 [zuletzt aufgerufen am 30.09.2025].

[18] Call for Moderators:  https://schloss-gutshof-britz.de/museum-neukoelln/blog/call-for-moderators [zuletzt aufgerufen am 30.09.2025].

[19] https://gpil.jura.uni-bonn.de/2023/04/reconciliation-without-reparation-the-german-namibian-joint-declaration-on-our-colonial-past/ [zuletzt aufgerufen am 30.09.2025].

[20] Link zum Video: https://youtu.be/PcJkY4eXBLY?si=rAHy4AanMwrTEwh6 [zuletzt aufgerufen am 30.09.2025].

[21] Link zum Video: https://youtu.be/RxIDxpe4KVk?si=rdrAOz-h9vKl29nj [zuletzt aufgerufen am 30.09.2025].

[22] https://dropoutcinema.org/weisse-geister-der-kolonialkrieg-gegen-die-herero/ [zuletzt aufgerufen 01.11.2025]

[23] Vgl. https://greencampus.boell.de/de/afar/event%3Acoming-home-dead [zuletzt aufgerufen am 30.09.2025].

[24] Vgl. dazu Henkel, Matthias: DENK[MAL]ZEICHEN. Über die Vergegenwärtigung der Vergangenheit, die Imagination möglicher Zukünfte und die transformatorisch-heilende Kraft der Kunst https://schloss-gutshof-britz.de/museum-neukoelln/blog/denkmalzeichen [zuletzt aufgerufen am 30.09.2025]. Zuerst erschienen in: Berlin Global Village (Hrsg.): VON DER UNGEMÜTLICHKEIT DEKOLONIAL ZU ARBEITEN. Die Entstehung des Dekolonialen Denkzeichen im Berlin Global Village. Erste Auflage Berlin, 2024, S. 130-131.

[25] https://schloss-gutshof-britz.de/application/files/7617/3859/1182/Die_dreifache_Transformation_-_Vorschlag_des_FB_MSEfinal.pdf [zuletzt aufgerufen am 30.09.2025].

[26] Da der Stein direkt vor der Friedhofsmauer positioniert ist, wäre die „koloniale Seite“ des Steins in der neuen Ausrichtung nur noch mit der gebotenen Mühe einsehbar.

[27] Gerade der Aspekt des gemeinsamen, zukunftsorientierten Handelns wird in den Statements der Repräsentanten der Affected Communities sehr deutlich.

[28] Das DHM hatte inhaltlich ein großes Interesse, den Stein in die Sammlung zu übernehmen. Das Haus wäre ein idealer Standort für eine museale Präsentation gewesen, da derzeit die Neukonzeption der Dauerausstellung vorbereitet wird und sich das Gedenk-Ensemble hervorragend als Exponat zum Thema des „kolonialen Blicks“ geeignet hätte. Leider aber übersteigen die Dimensionen des sog. Herero-Steins die Transportkapazitäten innerhalb des historischen Baukörpers des DHM.

[29] https://konzept.kolonialismus-erinnern.de/ sowie https://konzept.kolonialismus-erinnern.de/img/kolonialismus-erinnern.pdf [zuletzt aufgerufen am 30.09.2025].