Ordentlich Ja sagen – aus dem Alltag eines Standesbeamten

von Julia Dilger

 

Dieser Füllfederhalter der Marke Kaweco gehörte Günter Heinrich, der von 1954 bis zu seiner Pensionierung 1992 erst Standesbeamter und dann Leiter des Standesamts Neukölln war. Mit dem Füller unterschrieb er unter anderem zahlreiche Heiratsurkunden. Der Taschenfüllhalter „Kaweco Sport“ kam 1911 auf den Markt und wird bis heute in Deutschland produziert. Steckt man die Kappe auf den kurzen Stift, entsteht ein Schreibgerät von Normallänge.

Damals wurde der Füller besonders für die edle Gesellschaft in Abendgarderobe und für Sportsleute beworben. Die Neuköllner Standesbeamt:innen indes waren nicht sonderlich glücklich damit. Vor der Einführung des Kugelschreibers wurden offizielle Schriftstücke mit dokumentenechter Eisengallustinte ausgefüllt. Doch durch diese Tinte verkrusteten Füllhalter schnell und mussten häufig ausgetauscht werden.

Günter Heinrich kam eher zufällig zu seinem Beruf. Nach der mittleren Reife im Jahr 1947 riet ihm ein Freund zu einer Ausbildung im Bezirksamt Neukölln. Heinrich folgte dem Rat und fand seinen Traumberuf als Standesbeamter. Er arbeitete gerne selbstständig und war bereit, Verantwortung zu übernehmen. Ein Standesbeamter muss sorgfältig prüfen, ob alle Unterlagen vorschriftsmäßig vorliegen, bevor er seine Unterschrift unter die Heiratsurkunde setzt.

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Komplizierte Situationen reizten ihn, er fand immer eine Lösung. So wurde in einem Fall erst einen Tag vor der Hochzeit festgestellt, dass noch eine Urkunde fehlte. Günter Heinrich ermittelte die Stel­le in Westdeutschland, wo das Dokument lag. Ein Verwandter wurde angerufen, dieser eilte zum Amt, um das Papier zu holen, setzte sich ins Flugzeug und wurde mitsamt der Urkunde am Berliner Flughafen von Günter Heinrich in Emp­fang ge­nommen. So konnte die Hochzeit wie geplant stattfinden.

Bis zu 30 Ehen wurden im Standesamt in der Donaustraße an einem Freitag und Samstag geschlossen. Mehrere Beamt:innen arbeiteten parallel: Hochzeiten am laufenden Band. Zehntausende Paare hat Günter Heinrich im Laufe seiner Dienstzeit getraut.
Ging das Ehepaar Heinrich spazieren, wurde er auf der Straße gegrüßt, in Neukölln war er stadtbekannt. Günter Heinrich bemühte sich immer, die Ansprachen an das Ehepaar etwas zu variie­ren. In seinen vielen Dienstjahren sammelte er genug Erfahrung, um die Brautleute richtig einzuschätzen und etwas Passendes zu formulieren. Nach einer Viertelstunde war der Akt vorbei. Damals durfte noch keine größere Gesellschaft mit ins Trauzimmer kommen, nur das Paar, die Trauzeug:innen und ein, zwei weitere Personen. Auch fotografiert wurde damals noch nicht. Ein Standesbeamter hatte zur Trauung in einem dunklen Anzug zu erscheinen, Standesbeamtinnen im Kostüm oder Kleid. Für ihre Dienstkleidung erhielten die Kolleg:innen einen minimalen Bekleidungszuschuss, 1978 waren es bei 50 Eheschlie­ßungen 15 Mark.
Der Anzug von Günter Heinrich hing stets griffbereit in seinem Büro, damit er auch kurzfristig zu Nottrauungen gerufen werden konnte. Irgendwann gab es in der Behörde die Überlegung, die Standesbeamt:innen zum Tragen eines Talars zu verpflichten. Dies führte im Kolleg:innenkreis zu Amüsement: Die Herren waren zwischen 1,65 und 1,85 Meter groß, wie viele Nadeln wären wohl nötig, um den Talar jedes Mal auf die richtige Größe umzustecken? Am Ende entschied man sich dagegen.

Heinrich übernahm viele Nottrauungen. Oft wurde er zu einer Trauung ans Sterbebett gerufen, eine ebenso emotionale wie verantwortungsvolle Aufgabe, weil er einschätzen musste, ober der Sterbende überhaupt noch testierfähig war. Auch im Kreißsaal war er im Einsatz, um in letzter Minute vor der Geburt eines Kindes eine Ehe zu schließen. Unverheiratete Väter mussten nachträglich ihre Vaterschaft anerkennen.

Kam er nach einem aufregenden Arbeitstag nach Hause, erzählte er seiner Frau noch in Hut und Mantel von seinen Erlebnissen. Daran kann sich Gerda Heinrich noch heute erinnern und auch an die gute Stimmung unter den Kolleg:innen im Standesamt Neukölln. Man hielt zusammen, half einander und feierte auch gerne mal. Zu den wöchentlichen Dienstsitzungen brachte Günter Heinrich gelegentlich Streuselkuchen mit, denn wenn die Kolleg:innen kauend am Tisch saßen, konnten sie ihm nicht widersprechen, erzählt Frau Heinrich mit einem Augenzwinkern.

Günter Heinrich war ein kommunikativer Vorgesetzter: Man konnte mit ihm reden, er konnte zuhören. Aber wenn er eine Idee hatte oder etwas durchsetzen musste, war er hartnäckig.
„Einer Kollegin meines Mannes ist mal passiert, dass der Mann Ja sagte und die Frau Nein. Es war eine peinliche Situation. Eine Stunde später tauschten sie dann doch die Ringe. Die Ehe wurde allerdings nach einem halben Jahr geschieden“, erzählt Gerda Heinrich.
Bei ihm jedoch haben alle Paare Ja gesagt.